Credit: Symposium „Politik, Fake News und das Zeitalter der Postwahrheit“ des „The Institute for Policy Research’s 2017“
Teresa Albano, ehem. Referentin für wirtschaftliche Angelegenheiten im Büro des Koordinators für Wirtschafts- und Umweltaktivitäten der OSZE und leitende Projektmanagerin des Projekts E-MINDFUL
Die Art und Weise, wie sich die Medienlandschaft seit dem Aufkommen des World Wide Web rasant entwickelt hat, hat zu verstärkten Spannungen in Bezug auf die Glaubwürdigkeit von Regierungsentscheidungen geführt. Vor allem über die Medien erhalten Menschen Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, kritisch zu reflektieren und sich eine Meinung über die Fähigkeit von Staaten zu bilden, die geeignetsten Entscheidungen zu treffen. In einer Zeit, in der Menschen mehr Informationen zur Verfügung haben als je zuvor, ist es jedoch immer schwieriger geworden, zuverlässige und faktenbasierte Informationen zu finden.
Bereits 2004 prägte der nordamerikanische Autor Ralph Keyes den Begriff “post-truth”, um das aufkommende und heute gefestigte Phänomen der absichtlichen Manipulation von Informationen und Fakten zu beschreiben, die als wahr im Geiste und wahrer als die Wahrheit selbst dargestellt werden. Obwohl Steve Tesich bereits 1992 auf die “Post-Wahrheit” verwies, als er über den Watergate-Skandal und den Irak-Krieg schrieb, bieten die sozialen Medien heute ein Umfeld, das besonders anfällig für die Verdrehung von Fakten und sogar für völlig erfundene Inhalte ist.
In einem so offenen und dynamischen virtuellen Umfeld verschwimmt die Unterscheidung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen von Informationen immer mehr. Da jeder in der Lage ist, Informationen zu bearbeiten und weiterzugeben, werden Nachrichten zunehmend wie ein Produkt behandelt, das nach dem Geschmack des Publikums verkauft werden soll. Die unvermeidliche Folge ist, dass professionelle ReporterInnen und RedakteurInnen dazu neigen, Nachrichten so zu gestalten, dass sie BesucherInnen auf ihre Plattformen locken, um ein Geschäft aufrechtzuerhalten, das zunehmend das verkauft, was die Öffentlichkeit will.
Post-Wahrheit und Migration
Aufgrund ihrer besonderen emotionalen Anziehungskraft ist die Steuerung der Migration ein Bereich der öffentlichen Politik, der besonders empfindlich auf die Wirkung von Medienberichten reagiert. Bedeutsame Ereignisse wie die große Anzahl von MigrantInnen, die 2015 in Europa ankamen, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021 oder die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Vertreibung von Menschen wirken als gewaltige Katalysatoren für Fehlinformationen und Desinformationen über MigrantInnen. Die Notwendigkeit, ein breites Publikum anzusprechen, lässt provokante und überzeugende Migrationsgeschichten aufblühen. Unabhängig davon, wie faktenbasiert diese Geschichten sind oder nicht, je mehr Menschen auf bestimmte Inhalte zugreifen, desto glaubwürdiger erscheinen diese Inhalte. Diese Dynamik zeigt sich auch in der Debatte über Migration.
Medialisierung und Politisierung haben zu einer “Krisenkommunikation” beigetragen, die der Migrationsdebatte einen alarmistischen Beigeschmack verleiht. Die wenigen Stimmen, die versuchen, der Diskussion mehr Tiefe und Komplexität zu verleihen, werden oft vom Rest des Chors übertönt.
Migrationspolitik und öffentliches Vertrauen
Die unmittelbare Folge der post-wahrheitlichen, alarmistischen Kommunikation über Migration ist die Erosion des öffentlichen Vertrauens in das Handeln von Regierungen. Es ist nicht verwunderlich, dass die voreingenommene Wahrnehmung der Migration als ein Phänomen, das nicht gesteuert werden kann, immer weiter um sich greift und eine nüchterne Diskussion über geeignete politische Ansätze verhindert. Dies kann dazu führen, dass WählerInnen sich von PolitikerInnen mit parteiischen, wenn nicht gar extremen Ansichten über die Steuerung der Migration angesprochen fühlen, wodurch ein Teufelskreis aus immer größerer politischer Panik und Ad-hoc-Maßnahmen entsteht.
Doch trotz der unmittelbaren politischen Anziehungskraft der “Post-Wahrheits”-Politik könnte es ein „schlüpfriger“ Weg sein, Sensationslust die Oberhand über eine faktenbasierte Migrationspolitik gewinnen zu lassen. Unabhängig von der politischen Zugehörigkeit gehört zum öffentlichen Vertrauen auch der unsichtbare Faktor, dass Menschen, BürgerInnen und WählerInnen an die Fähigkeit von Regierungen glauben, angemessen für das Gemeinwohl zu handeln. Ein hohes Maß an öffentlichem Vertrauen gewährleistet Widerstandsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt, die für eine gute Regierungsführung besonders wichtig sind, vor allem in Zeiten zunehmend schwieriger geopolitischer Szenarien. Die Verbesserung der Wahrnehmung der Verlässlichkeit staatlicher Stellen bei der Bewältigung neu auftretender Krisen – insbesondere der Komplexität der Migrationssteuerung – ist ein wichtiger Faktor für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die nationalen Regierungen.
Das Projekt E-MINDFUL: Kommunikation über Migration jenseits der Polarisierung
Der in Kürze erscheinende Bericht über die Bestandsaufnahme des E-MINDFUL-Projekts bietet eine Wissensgrundlage für die Gestaltung von Migrationsbotschaften, die bei den Zielgruppen jenseits der Polarisierung auf Resonanz stoßen, und erörtert die Herausforderungen der Kommunikation über Migration im Zeitalter nach der Wahrheit. Der Bericht gibt einen Überblick über die verschiedenen – kontextuellen und individuellen – Faktoren, die die Einstellung gegenüber MigrantInnen prägen, und will Wege aufzeigen, wie Kommunikationsmaßnahmen zum Thema Migration verbessert werden können.
Auch wenn die Migrationspolitik ein tückisches Terrain ist, tragen die PolitikerInnen eine klare Verantwortung dafür, dass die Migrationserzählung ehrlich und ausreichend nuanciert ist, damit die Öffentlichkeit die Triebkräfte und Folgen der politischen Entscheidungen versteht. Die Festlegung realistischer Ziele für die Migrationssteuerung bei gleichzeitiger Verfolgung von Reformen, die der Gesellschaft als Ganzes zugutekommen, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Aufbau von Glaubwürdigkeit und eines politischen Raums, in dem politische Maßnahmen offen diskutiert und Kompromisse erläutert werden.
Es gibt keinen einfachen Weg, den gordischen Knoten der Kommunikation über Migration im Zeitalter der Postwahrheit zu lösen. Doch als Teil des gesamten Umfelds, das Informationen produziert und nutzt, haben wir alle die ethische Pflicht, das “Hintergrundrauschen” zu reduzieren, das in der aktuellen Medienlandschaft zu diesem Thema erzeugt wird, und uns bewusst zu machen, dass jeder von uns Teil dieses Rauschens ist. Denn Sprache ist nicht nur ein Vehikel für Fakten, Zahlen, Belege und Widerlegungen, sondern auch ein Träger von Werten.